„Das, was uns gesellschaft­lich trennen soll, verbindet uns!“

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Frauenvernetzungs­gruppe für Begegnung und Austausch – ein Rückblick

von Lisa Gensluckner

März 2015: Da liegt er vor uns, der erste gedruckte 12-seitige, gefaltete Leporello zum Internationalen Frauentag mit einer Übersicht über ca. 20 unterschiedliche Veranstaltungsereignisse, die eines miteinander verbindet: Sie sind Ausdruck einer lebendigen, vielfältigen regionalen Frauenbewegung. Mit unterschiedlichen Formaten – Ausstellungen, Filmen, Lesungen, Vorträgen und Diskussionsveranstaltungen, politischen und künstlerischen Aktionen im öffentlichen Raum, … – machen Frauen aus vielfältigen Perspektiven auf Themen aufmerksam, die in der Tradition feministischer Politisierung stehen. Vom ökumenischen Weltgebetstag über ein alevitisches Frauenfest bis hin zu den Frauentagsaktivitäten migrantischer und autonom-feministischer Vereine, von Organisationen im kulturellen Bereich, der Universität, der Stadtregierung, des Landes Tirol, politischer Parteien der SPÖ und der Grünen.

Seither erscheint nun jährlich ein solcher Leporello zum Internationalen Frauentag und findet in großer Auflage eine regionale Verbreitung – ein starkes, sichtbares Zeichen bunter, feministischer Widerständigkeit, die sich über alternative feministische Öffentlichkeiten realisiert.

Die Koordination von Aktivitäten rund um den Internationalen Frauentag ermöglicht für die regionale Frauenbewegung dreierlei: Zum einen können Terminkollisionen im Vorfeld vermieden werden, zum anderen entsteht ein Wissen darum, wer sich wofür einsetzt und feministische Gegenöffentlichkeiten schafft. Darüber hinaus wird die Möglichkeit geschaffen, sich zusammenzuschließen und gemeinsam aktiv zu werden. Genau dieses Nicht-voneinander-Wissen und die damit einhergehende Unverbundenheit waren zentrale Beweggründe für die Gründung und den Aufbau der „Frauenvernetzungsgruppe für Begegnung und Austausch“ (F*V), welche die jährliche Koordination und Herausgabe des oben beschriebenen Leporello initiierte und übernahm. In einer so kleinen, überschaubaren Stadt wie Innsbruck mit 130.000 EinwohnerInnen war es immer wieder so, dass – insbesondere zu den zentralen Symboltagen von Frauenbewegungen – diverse Aktivitäten feministischer Initiativen voneinander isoliert und gegenseitig unbemerkt stattfanden. Ein besonders auffälliges Nebeneinander verlief entlang migrantisch-feministischer einerseits und autonom-feministischer Aktivitäten andererseits.

Wie und warum alles begann …

Die Anfänge der Gründung der F*V reichen zurück bis zum Herbst 2014. Initiiert von zwei Frauen (Derya Nonnato und Lisa Gensluckner) und unterstützt von zwei Vereinen (dem Arbeitskreis Emanzipation und Partnerschaft – AEP sowie der Initiative Minderheiten Tirol) war zunächst nur angedacht, eine dreiteilige Veranstaltungsreihe zur Problematik der Unverbundenheit und zu Fragen von Vernetzung durchzuführen. Interesse und das Anliegen, diesen Zustand zu verändern, waren groß und so entstand daraus eine regelmäßig sich treffende Gruppe. Da ohne jegliche finanzielle Ressourcen ein solcher Zusammenschluss längerfristig kaum zu realisieren war, wurde bei der Stadt Innsbruck und beim Land Tirol ein Konzept zur Förderung beantragt. Insbesondere die damalige für Frauenangelegenheiten zuständige Vizebürgermeisterin (Sonja Pitscheider) unterstützte das Anliegen mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln. Unterstützung gab es aber auch von Seiten des Landes Tirol, insbesondere von der damaligen für Frauenfragen zuständigen Landesrätin (Christine Baur). Mit jeweils € 2.500 Subvention wurde eine Basisfinanzierung geschaffen, mit der Gründung und Aufbau einer Plattform zur Vernetzung möglich war. Diese Entstehungsgeschichte verdankt sich letztlich politisch günstigen Rahmenbedingungen, aber auch der Bereitschaft eines Vereins, des AEP, insbesondere seiner Obfrau (Monika Jarosch), dieses Anliegen zu unterstützen und die Trägerschaft für eine solche Vernetzung zu übernehmen.

Die Trägerschaft für die F*V wurde vier Jahre lang, von 2015 bis 2018, vom AEP übernommen, anschließend bis heute von der Initiative Minderheiten Tirol. Ein Wechsel der Trägerschaft war von Anbeginn an vorgesehen, da eine solche Rotation auch aus inhaltlichen Gründen Vorteile bietet. So hat die Trägerschaft zwar eine klar definierte Aufgabe, zugleich verschafft sie aber auch besondere Gestaltungsmacht. Trägerschaft bedeutete von Anbeginn, sowohl die Finanzierung als auch die Koordination der Plattform im Hinblick auf regelmäßige Zusammenkünfte, sogenannte „Gesprächsrunden“, deren Moderation und Protokollierung sowie gemeinsame Aktivitäten zu gewährleisten. Sowohl die Koordination als auch die Moderation waren und sind bezahlte Tätigkeiten, der Großteil der weiteren anfallenden Arbeiten durch die jeweils aktiv beteiligten Frauen erfolgt ehrenamtlich. Inhaltliche Schwerpunktsetzungen und Aktivitäten wurden und werden ausschließlich von den an den Gesprächsrunden teilnehmenden Frauen bestimmt – eine kollektiv ausgeübte Gestaltungsmacht.

Überlegungen zur Organisations­struktur

Für eine tragfähige und verbindliche Vernetzungsstruktur braucht es ein Mindestmaß an Koordinationstätigkeiten, insbesondere das regelmäßige Einberufen, Ankündigen und Bewerben von kontinuierlich stattfindenden Gesprächsrunden sowie deren Moderation und Protokollierung. Darüber hinaus sollte die Organisationsstruktur jeder einzelnen engagierten Frau eine möglichst große Bandbreite an Beteiligungsformen ermöglichen. Es wurde ein E-Mail-Verteiler aufgebaut, dem bald schon mehr als 100 Frauen aus unterschiedlichsten Kontexten angehörten. Wer zumindest einmal an einem Treffen teilnimmt und sich in diese Verteilerliste einträgt, erhält fortan die Protokolle der Gesprächsrunde. So ist es einzelnen Frauen auch möglich, zeitweise nicht an Treffen teilzunehmen, aber dennoch informiert zu bleiben und weiterhin Teil der Vernetzung zu sein.

Die Vernetzung ist ein fortwährend offener Prozess, deshalb werden immer wieder neue Initiativen und Einzelpersonen angesprochen und zu den Gesprächsrunden eingeladen. Die Einladungspolitik war immer darauf ausgerichtet, der Heterogenität von Frauen und ihren unterschiedlichen Lebensbedingungen möglichst gerecht zu werden. Entsprechend einer an den Grundgedanken der Intersektionalität ausgerichteten Haltung wurden insbesondere jene Frauen eingeladen, die mehrfache Diskriminierung erleben oder sich in diesem Sinn für Frauen engagieren. Gerade die Stimmen marginalisierter Frauen sollen hörbar gemacht werden. Die F*V bemüht sich ernsthaft um die aktive Einbindung von Frauen mit Migrationsbiografien oder Frauen mit Behinderungen, u.a. durch Mehrsprachigkeit und Barrierefreiheit. Ein ausführlicher Beitrag über Frauen mit Behinderungen in der F*V findet sich weiter hinten in diesem Heft.

Mehr als eine Plattform oder ein Netzwerk

Sprachlich ruft der Begriff „Plattform“ ein spezifisches Bild auf: Laut Duden ist eine „Plattform“ nicht nur ein „Personenkreis, der dem Austausch und der Verbreitung von Ideen, Anschauungen (…) dient“, sondern auch eine „ebene Fläche auf hohen Gebäuden, Türmen o.Ä. (von der aus man einen guten Ausblick hat)“. Beide Aspekte kommen in der F*V zum Tragen: einerseits die Vernetzung zum Zweck der Politisierung geschlechtsspezifischer Machtverhältnisse und der öffentlichen Sensibilisierung für die unterschiedlichsten Anliegen von Frauen; andererseits aber auch das Schaffen eines Ortes, von dem aus gemeinsame – und damit über einzelne Positionierungen von in der Regel relativ privilegierten Frauen hinausgehende – frauenpolitische Standpunkte überhaupt erst erarbeitet werden können. Dieser letztgenannte Aspekt erfordert mehr als den bloßen Austausch und geht über die Bildung eines Netzwerkes, in dem sich üblicherweise Menschen mit ähnlichen Interessen, Anschauungen und Haltungen zusammenfinden, weit hinaus. In den konzeptuellen Papieren der F*V wurde dieser Aspekt immer wieder als „gegenseitige Sensibilisierung für die jeweiligen Anliegen von Frauen“ thematisiert: Gerade aufgrund von bestehenden Macht- und Herrschaftsverhältnissen ist es alles andere als selbstverständlich, über eigene Anliegen und Positionierungen hinauszugehen und den Blick auf Lebensrealitäten zu richten, die auch gesamtgesellschaftlich nicht sichtbar werden. Dabei geht es auch um eine Auseinandersetzung mit z.B. rassistischen, behindertenfeindlichen oder heterosexistischen Grundhaltungen. Etwas pathetisch gesprochen, verlässt keine aktiv beteiligte Frau einen solchen Vernetzungsprozess, ohne dadurch zu einer Anderen geworden zu sein. Dies beinhaltet einen impliziten Bildungsauftrag für die F*V, aber auch den Auftrag zu Selbstreflexion und Selbstveränderung jeder Einzelnen. Die politisch möglichen Allianzen, die durch eine solche gegenseitige Sensibilisierung für unterschiedliche Lebensbedingungen geschmiedet werden können, sind ein prozesshaftes und nie abgeschlossenes Unterfangen.

„Jede Frau ist herzlich willkommen!“

Auf regionaler Ebene existiert bereits seit Jahren ein weiterer erfolgreicher Zusammenschluss: Die „Feministische FrauenLesbenvernetzung Tirol“ ist eine organisations- und berufsbezogene Vernetzungsstruktur, an der sich sehr aktiv Mitarbeiterinnen unterschiedlicher Einrichtungen beteiligen, die zur regionalen Frauenbewegungsinfrastruktur gehören. Gemeint sind in der Forschung über soziale Bewegungen damit jene Einrichtungen, die im Zuge der Zweiten Frauenbewegung gegründet worden sind und zentrale feministische Anliegen aufgreifen. Hier vernetzen sich Einrichtungen u.a. aus dem Sozial- und Kulturbereich, die frauenspezifische Dienstleistungen anbieten, z.B. das Tiroler Frauenhaus, der Verein Frauen gegen Vergewaltigung, das Mädchenprojekt Aranea oder der Verein Frauen aus allen Ländern. Im Unterschied dazu bietet die F*V einen Raum für jede Frau unabhängig von z.B. ihrem beruflichen, religiösen oder parteipolitischen Kontext, die sich mit anderen Frauen zusammenschließen und sich für Anliegen von Frauen einsetzen möchte. Die Devise „Jede Frau ist herzlich willkommen!“ wurde zu einem leitenden Motto für die Verbreiterung der Vernetzung. Oftmals war und ist das eingebrachte Engagement Einzelner nur punktuell, oft aber auch dauerhaft oder phasenweise unterschiedlich intensiv.

Gemeinsam aktiv werden

Für den bisherigen Erfolg der F*V sprechen die zahlreichen erfolgreich durchgeführten Aktivitäten, speziell rund um frauenbewegte Symboltage, insbesondere den Internationalen Frauentag am 8. März sowie dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November. Ausführliche Berichte dazu finden LeserInnen auf den nächsten Seiten dieses Hefts.

Darüber hinaus werden immer wieder anlassbezogen Aktivitäten gesetzt: So initiierte die F*V zum Beispiel rasch nach dem diskursiven Ereignis „Kölner Silvesternacht“ beim Jahreswechsel 2015/2016 eine öffentliche Diskussionsveranstaltung mit Kurzreferaten, um zu einer fundierten Meinungsbildung und Positionierung beizutragen. Auch politische Wahlen gaben immer wieder Anlass, um Spitzenkandidatinnen einzuladen, sie mit feministischen Anliegen zu konfrontieren und Räume für Diskussion und Auseinandersetzung zu schaffen.

Politische Freundinnenschaft

Abschließend einige persönliche Schlussworte: Mehr als vier Jahre lang war ich persönlich gemeinsam mit Derya Nonnato eine der tragenden Personen der F*V. In Form einer sehr produktiven, geglückten – und glücklich machenden – Zusammenarbeit haben wir gemeinsam mit vielen anderen an Gründung, Aufbau und Koordination der F*V gearbeitet. Vieles hat dieser Zusammenschluss schon erreicht, nicht immer verlief alles konfliktfrei und nicht alles ist so gelungen, wie es konzeptuell vorgesehen gewesen wäre. Doch die Weichen wurden gut gestellt und die Richtung stimmt. Demokratie (frei nach Derrida) als Ort, wo jede und jeder in gleicher Weise ganz anders zu sein vermag, ohne marginalisiert, zugerichtet und genormt oder ausgeschlossen zu werden, muss sich auch im Kleinen materialisieren. Versteht man politische Freundschaft als grundlegende Basis für gelebte Demokratie, als eine Grundvoraussetzung für Solidarität unter Verschiedenen, so hat in dieser Hinsicht die F*V jedenfalls vieles bewirkt. Aber auch politische Freundschaft braucht ein Zutun, ein aktives Bemühen, so wie jede private Freundschaft auch – sie ist ein Gut, das es beständig neu zu erarbeiten gilt. Zum Abschluss daher ein leitendes Motto der F*V, das diesem Zutun die Richtung gibt: Das, was uns gesellschaftlich trennen soll: der sogenannte „Migrationshintergrund“, das Tragen des Kopftuches, eine Behinderung, unser aller Anderssein…, macht uns politisch stark, WENN wir uns vernetzen, gemeinsam auf die Straße gehen, uns solidarisieren!

Autorin

LISA GENSLUCKNER ist Politikwissenschafterin; Mitarbeiterin im AEP und im Forschungsprojekt „Political Literacy in der Migrationsgesellschaft“ der Universität Innsbruck.